Armerlite

Wir schreiben das Jahr 2006 n.Chr., der ganze Kanadiermarkt ist von Royalex erobert. Der ganze Kanadiermarkt? Nein, ein kleiner Hersteller im Bayerwald hört nicht auf, der Übermacht Widerstand zu leisten, Armerlite.  Von einem innovativen Werkstoff der sich anschickt Europa und Kanada zu erobern.

Kanadier aus bayerisch Kanada?

Mit Robert Sommer und Karl Fischer sitze ich in Regen-Triefenried im früheren Bahnhof und will alles wissen über die Geschichte von Armerlite. Seit einigen Jahren, paddle ich selber die robusten und stäbigen Kanadier aus dem Bayerwald, der Unverwüstlichkeit des Materials und der guten Fahreigenschaften wegen. Als Paddler achten wir selbst  auf Ressourcenschonung, Reparaturfähigkeit, meinen ökologischen Fußabdruck und Nachhaltigkeit, insbesondere in Zeiten, wo mancher touristisch viel befahrener Paddelfluss an Umtragestellen und kleinen Schwällen selbst schon bunt gesprenkelt von Plastikabrieb der PE-Verleihboote vom Gewässerboden und entlang der Uferwege schimmert. Microplastik, das in immer kleinere Partikel zerfällt und von Wasserlebewesen aufgenommen wird, bis diese am Ende der Nahrungskette, selbst wieder bei uns am Tisch angekommen sind, in mikroskopisch kleiner Dosis aber nicht minder gefährlich. Die Entscheidung für meinen ersten Brooks 16, fiel nicht zuletzt auch, wegen seiner vollständigen Überholbarkeit im Herstellerwerk bei Bruch oder anders gearteter Havarie mit dem Boot, was mir aber bis zur Stunde glücklicherweise erspart blieb. Mittlerweile läuft der Brooks bei mir in der 5 Saison und der Skyliner 17 in der 2. ohne geschont zu werden und ohne sichtbare Verschleißerscheinungen. Dies ganz im Gegensatz zu den Royalex Kanus von Bekannten, die in der Zwischenzeit schon den dritten Kevlar-Bugschutz aufgepicht bekommen haben, was mein ästhetisches Empfinden doch sehr beeinträchtigt.

Von der Renommier-Wildwasserschmiede zur innovativen Tourenboot-Werft

In den 1980er Jahren paddelten, entwarfen und produzierten Robert Sommer und Karl Fischer Wildwasserkajaks die Maßstäbe setzten. Viele bis dato als unfahrbar geltende Gebirgsflüsse wurden mit deren Kajaks erstmals bezwungen. Schon in den Anfangstagen von der damals „Robson“ heißenden Marke, waren richtungsweisende Details und Bootsformen in der Szene sehr begehrt und viele der Wildwassercracks schworen auf die Kajaks aus dem Bayrischen Wald.

Um den zunehmenden Bedarf an Touringbooten gerecht zu werden und der gewaltig gestiegenen Nachfrage von Kanu-Verleihstationen im wiedervereinigten Deutschland, dass um herrliche Tourenreviere wie Spreewald, Mecklenburger Seenplatte und um einige Großflüsse wie Elbe und Oder reicher wurde, tüftelten die beiden Inhaber an zeitlosen Kajak-Designs und schufen mit Balboa, Balboa Duo und der Tetris Familie eine eigenständige Formensprache und robuste gut laufende Kajaks, die bald schon um PE-Kanadier ergänzt wurden. Aufgrund der offenen Bauweise ohne Deck, benötigt ein Kanadier allerdings deutlich mehr Polyethylen, als Kajaks vergleichbarer Länge, um die Boote steif genug zu machen, dass nichts einbeult oder durchbiegt, PE ist eben ein weiches Thermoplast, was in der Anwendung für offene Boote entsprechender Verstärkungen bedarf. Bald schon war klar, ein neuer Werkstoff muss her, der den Bau, leichter, formstabiler, schneller oder wendiger, Kanadier ermöglicht.

Armerlite Produktion Luftbild

Paddelevent mit weitreichender Wirkung

Robert erzählt, dass während einer Kajak-Rodeo Veranstaltung, sich ein Mann zu ihm setzte und fragte, ob er ein neues Material für Kanus, testen möchte. Er wäre Entwickler von Systemen und Formen, die den neuen Werkstoff in der Automobilindustrie zur Serienreife gebracht hätten. Er schilderte wie das neuartige Material mittels Hitze und Hochdruckpressen zu leichten, kompakten, mechanisch hochfesten und verschleißarmen, dreidimensionalen Formteilen, wie z.B. Radhausverkleidungen für LKW modellieren ließen. Als Bootsbaumaterial müsste der Werkstoff extrem feste und dennoch sehr leichte Kanadier oder sogar Kajaks ergeben. Das Ausgangsmaterial wäre, mit Polypropylen beschichtetes, stark verwobenes Glasgewebe, das im Press- und Ausbackprozess untrennbar zu einer homogenen Einheit verschmilzt.

Das Problem, wirft Karl ein, war der Verbindungsprozess. In der KfZ-Industrie, waren die Formteile vergleichsweise kompakt, Radhausverkleidungen oder ähnlich kompakte Teile die während des Erhitzungsprozesses durch Hochdruckpressen in Form gebracht und verbacken wurden. Für eine vergleichsweise kleine Firma, im Gegensatz zur Automobilindustrie, war die Entwicklung und Anschaffung einer Hochdruckpresse, die dazu noch Werkstücke von über 5 Meter Länge, gleichmäßig hätte pressen müssen, jenseits aller Möglichkleiten, einer vertretbaren Investition. Auch dass das Ausgangsmaterial auf Rollen geliefert wurde und nicht als Plattenware, wie das damals den Kanadierbau dominierende Royalex, dass dann lediglich mit einer Positivform im Tiefziehverfahren unter Hitze in Form gebracht wurde, machte die Anfänge nicht leichter, merkte Robert an und weiter:  „Gut dass wir vor 10 Jahren nicht auf Royalex gesetzt haben und entgegen aller Widerstände und Herausforderungen auf den von uns Armerlite, genannten Werkstoff. Wobei uns das Material Anfangs schon hin und wieder zur Verzweiflung brachte. Nachdem der Entwickler nach Abschluss seines Projekts bei einem namhaften deutschen Autohersteller abgeschlossen hatte, hat er ein Jahr lang bei uns angestellt, an der Entwicklung von Armerlite mitgearbeitet.“

„Wir haben sogar den Ofen indem wir die Kanus heute backen, selbst gebaut, es gab ja keinerlei Erfahrungen, wie solch große Verbünde, wie sie für Kanadier erforderlich sind  vorher schon so gebaut worden wären. Alle anderen setzten auf Rotation von PE und schwer, auf tiefziehen von Royalex und leichter, oder eben dem aufwändigen Laminieren von hochwertigsten, ultraleichten, teuren, aber auch empfindlichen Kevlar oder Carbon Kanus. Unser Ansinnen war es, die die Leichtigkeit laminierter Boote und deren habtische Anmutung, mit der industriellen Fertigungstechnik von Thermoplast-Kanus zu kombinieren. Nur wenn es uns gelänge, Kanadier in effizienter Serienfertigung, höchster Festigkeit, bei geringstmöglichem Gewicht und dennoch überragender Formstabilität, preisgünstig zu produzieren und zu vermarkten, sahen wir eine reale Chance für uns, in dem zum damaligen Zeitpunkt immer heißer umkämpften Markt für Kanadier zu etablieren. Vor 10 Jahren verging keine Kanumesse, ohne dass nicht irgendwoher aus Kanada, USA, Tschechien, Polen oder China ein neuer Hersteller von Kanus auf den Markt zu drängen versuchte. Was wir schaffen mussten, war nicht weniger als die Quadratur des Kreises, oder die eierlegende Wollmilchsau im Kanubereich, mit einem Werkstoff zu erschaffen, mit dem es keinerlei Erfahrung gab. Die Fertigung mittels Hochdruckpresse, fiel aus bereits erwähnten Gründen aus, also ersannen wir eine Methode, in mühevoller, an Lehrgeld teuren und Anfangsenttäuschungen reichen Versuchsreihe, Armerlite wie laminierte Boote in Negativformen allerdings unter Vakuum und Hitze zu Booten zu verschmelzen. Die Anfänge waren ernüchternd. Manchmal gelangen sehr gute Resultate und ein andermal unter exakt den gleichen Bedingungen und Temperaturen waren die Boote beim Entformen nur teilweise verbacken. Es hat uns extrem viel Experimente, Tüfteln, Verzweiflung, Mut und minimale Detailverbesserungen gekostet, dennoch weiterzumachen, bis wir endlich Serienreife mit Armerlite erreichten.“ führt Karl aus.

Bei 250.000 Euro Entwicklungskosten standen wir kurz davor das Projekt abzubrechen.

Der Durchbruch mit einem klassischen 16er Prospector-Type – Brooks 16

Das erste Kanu, das zur Serienfertigung gebracht werden konnte war der Brooks 16 aus Armerlite. Den Anforderungen des Produktionsverfahrens geschuldet und der höheren Widerstandskraft gegen mechanische Einflüsse, wie sie auf sportlichen Wanderflüssen öfters vorkommen, wurde der Bug und das Heck des Brooks 16, etwas runder gestaltet, als bei vergleichbaren anderen Booten der bekannten prospectorähnlichen Kanus gleicher Größe. Ein leicht runderer Bug ist solider zu fertigen, als ein spitz zulaufender, so dass der Bug des Brooks deutlich härter strapaziert werden kann, als der vergleichbarer Boote, was die kaum auffindbare Anzahl „Kevlarstreifen-Verstärkter“ Bugspitzen bei den verkauften Brooks eineindeutig belegt, die beinah jeden Royalex-Kanadier „ziert“. Die herausragenden Eigenschaften, machten den Brooks 16 vom Start weg zu einem Verkaufsschlager. Alles was wir in der Entwicklung dem Boot an guten Eigenschaften mitgeben wollten wurde erfüllt und selbst den rauen Verleihalltag auf dem Schwarzen Regen, nahe unseres Produktionsstandorts überstehen die Boote über Jahre schadlos.

Beispiellose Werterhaltung, Umweltverträglichkeit und Nachhaltigkeit

Sollte bei einem Boot wirklich mal ein gravierender Schaden durch Abnutzung oder Bruch entstehen, so sind wir in der Lage, das Kanu für etwa 500 Euro, komplett zu zerlegen, neu in die Form zu geben, die Schadstelle zu ersetzen oder Verstärken und neu Aufzubacken, so dass der Kunde am Ende wieder ein neuwertiges Boot mitnehmen kann, man sieht absolut keinen Unterschied zu einem neuen Kanadier. In der Regel schaffen wir das binnen einer Woche, allerdings haben wir das auch schon bewerkstelligt, in der Nebensaison solche Instandsetzungen auch über ein verlängertes Wochenende auszuführen, Wahrend der Kunde solang einen Kurzurlaub im Bayrischen Wald macht. Das ist Nachhaltigkeit, die in der Kanubranche einmalig ist, erklären die beiden mit sichtlichem Stolz an ihrer zukunftsweisenden Produktionsmethode.

Die Armerlite Produktfamilie

Nach dem Brooks 16, kam der Homes, der vorher schon im Unternehmen in rotiertem PE hergestellt wurde und geradezu wie geschaffen war für Armerlite. Es folgten der Brooks 15 und der Brooks 17 und dann der Durchbruch zum Touringsegment für Seen und Großgewässer, mit dem Skyliner 17. Ein scharf geschnittener Bug, hervorragender Geradeauslauf und wenig Windwiderstand zeichnen den Skyliner 17 aus, der schon bald darauf einen kleinen Bruder, den Skyliner 16 bekam. Die Brooks Serie wurde in 2016 noch um die Größen Brooks 17,5 und Brooks 18 erweitert. Mit dem Brooks 18, gelang die Königsklasse, die kein PE Boot erreichte und nur die wenigsten der ehemaligen Royalex Hersteller beherrschten, ein offenes Kanu in Thermoplast mit knapp 5,5 Meter Länge. Die Kunst ist, den Boden so zu beschaffen, dass er nicht einwölbt, da auf diesem eine Beachtliche Last drückt. Der Brooks 18 ist ein Bolide, ein Boot für bis zu 7 Paddler, in perfektem Finish und mit hoher Personen und Transportkapazität, ein ideales Boot für Jugendarbeit und Verleihstationen. Die Brooks Serie gibt es in den Ausbauvarianten Touring oder Adventure, wobei die Adventure-Serie um Lashings für Kniegurte und ausfblasbare Auftriebskörper in Bug und Heck, so wie die Canoes für Wildnisstouren im Kanadierstammland, Kanada ausgestattet sind. In 2016 erhielt auch der Homes endlich einen größeren Bruder, den Mood, ein Open Canoe für Wildwasser mit hoher Wendigkeit und Volumen. Die Farbpalette reicht von Mango, Rot, Grün Blau bis schwarz  und auch andere Farben wären technisch möglich, in der Zukunft.

Back to the Roots – no Royalex no cry

„Ich weiss ja nicht ob Du das mitbekommen hast?“ Fragt Robert mit leicht schelmischen Lächeln um die Mundwinkel. „Was denn?“ will ich wissen. „Wir liefern ja jetzt schon in die andere Richtung. Früher, kamen die Royalex-Kanadier Seecontainerweise aus Kanada und den USA, aber seit der Hersteller der dreilagigen Vinylplatten, die Produktion einstellte, ist der Markt beinah kollabiert. Nahezu gebetsmühlenartig rezitiert die Branche einen nach dem Anderen, dass sie ja auf der Suche nach einem Ersatzwerkstoff wären und natürlich schon alle vielversprechende Versuche machen würden, aber wirklich was vorzeigbares kommt nicht von westlich des großen Teichs, so dass einer der größten Canoe Händler aus Kanada mittlerweile Kanadier aus bayrisch Kanada, ins Stammland der Kanadier, nach Kanada importiert – und diesmal schwimmen die Seecontainer von Deutschland nach Kanada. Während die  Kanadierbranche auf die Reinkarnation von Royalex oder einem gleichwertigen Werkstoff als Ausgangsprodukt hofft, haben wir mit Armerlite schon lang bewiesen, das nicht nur der Ersatz einer mittlerweile veralteten Technologie, was ja der Grund der Einstellung der Rohproduktion war, sondern ein wesentlich zukunftssicherer Werkstoff und Verfahren schon auf dem Markt ist: Armerlite. Unser Armerlite schlägt Royalex um Längen in Formstabilität, Gestaltungsmöglichkeit, Leichtigkeit und Festigkeit – vor Allem aber auch in der Nachhaltigkeit, der vollständigen Recyclebarkeit durch Instandsetzung – und dieser Werkstoff sowie die Produktionstechnologie kommt aus Deutschland, das muss man nicht als teure sperrige Seefracht importieren, schließen Robert und Karl ihre Ausführungen.

Was kommt noch?

Derzeit planen wir die Abrundung der Produktfamilie, In Planung sind ein Spiegelheckkanadier in der Brooks-Serie zum Ausrüsten mit einem handelsüblichen Aussenbordmotor bis etwa 5 PS in Elektro oder Benzin in der Größe 17 – 18, auch ein Touring-Einer ist in der Findungsphase, wobei wir nach nicht abschließend entschieden haben, welche Form er bekommen soll, da sind wir noch in Gesprächen mit Paddlern, denn ein Einer ist ja auch kein Massenboot, das will gut überlegt sein, wie wir den platzieren. Vielleicht wirds ja ein 13 – 14er Kanu mit unterschiedlichen Ausbauversionen, als kleiner Zweier der auch auf den Kleinwagen und den kleinen Balkon einer Mietwohnung zum Lagern passt oder als sportlicher Einer, das wären so die Ziele für die nächsten beiden Jahre.