Projekt Beschreibung
Epistulae ex Ponto
Kanuroadtrip durch Rumänien bis zum Schwarzen Meer
Kaum ein Land in Europa wirkt orientalischer und fremder auf Mitteleuropäer als Rumänien. „Der Pfähler“, Graf Dracula fällt uns in Deutschland noch am ehesten dazu ein. Yvonne Ziermann und Detlef Stöcker machten sich mit Bulli und Kanu auf den Weg um jenseits von Pauschalreisen, das exotischste Land Europas zu erkunden.
Auf den Spuren der Römer in die Dacia
Bis Cluj Napoca liegen auf unserer Route 1270 Kilometer vor uns. Wir folgen ab Regensburg der Donau, der „östlichen Handelsroute“ des Imperium Romanum, um ab Budapest durch die unglaublich langweilige Ungarische Tiefebene nach Oradea zu fahren und weiter zur alten Römerstadt Cluj Napoca. Adriana, eine rumänische Freundin aus Deutschland empfahl uns ihrer Schwester für die erste Nacht an, und so holte uns Teodora an einem Abzweig hinter Cluj Napoca ab und geleitete uns zum Haus ihrer Familie, mit malerischem Ausblick über die Karpaten. Dan und Teo bewirteten uns fürstlich und wir waren einmal mehr von der Gastfreundschaft der Rumänen sehr berührt.
Vielvölkerstaat am östlichen Ende Europas Rumänien, Dacia, Thrakien, Walachei, Siebenbürgen, Transsylvanien, Moldau, Bukowina, Maramures, das Land hat und hatte viele Namen und alle die sich in die europäische Geschichte einschrieben oder einbrannten, hinterließen hier ihre Spuren, Geschichte und Minderheiten, was das moderne Rumänien zu einem Vielvölkerstaat macht. Politisch ist Rumänien trotz der EU Mitgliedschaft eines der korruptesten Länder, wenn nicht sogar das korrupteste Land der europäischen Gemeinschaft.
Im Grunde, sind die Rumänen die wir aus Deutschland und auch im Land kennen, sehr herzliche, liebevolle und kreative Menschen, mit einem starken Zusammenhalt.
Salz, Gold und Wanderschäferei, wie vor Jahrhunderten
Am nächsten Morgen brechen wir mit Teo und Dan auf zu einer sagenumwobenen Schlucht in der Nähe von Cluj Napoca. Wir fahren in die Richtung von Turda, vorbei an den Grundmauern des römischen Castell „Castrul Romanum Potaissa“. Wie Napoca ist Turda ein römische Stadtgründung an einer riesigen alten Salzquelle, die noch heute als Salina Turda besichtigt werden kann. Salz und Gold, waren der Grund für die römische Eroberung der Dacia unter Kaiser Trajan, der mit einer kühnen, riesigen Hängebrücke die Donau überspannte und das Heer des Königs Decebal besiegte. Wir befinden uns bereits an den Rändern des Apuseni genannten Gebirgsteils der Karpaten, nahe des Ortes Rosia Montana, wo bis heute die größten Goldreserven von etwa 300 Tonnen und etwa 1500 Tonnen Silber lagern. In der Römerzeit erlebte der Goldabbau dort seine größte Blüte und noch heute sind Spuren, Stollen und Galerien des römischen Goldbergbaus erhalten.
Wir erreichen das wilde Karst-Erosionstal, „Cheile Turzii“, durch das sich ein kleiner Wildbach, einen wildromantischen Canyon mehr hundert Meter tief eingewaschen hat. Eine große Schafherde, am Eingang ins enge Tal weidet gerade den Trockenrasen ab. Mit Dans Unterstützung als Dolmetscher, kommen wir mit den Schäfern ins Gespräch. Ja es gibt Wölfe im Revier und Bären erklärt einer der Schäfer, „wo Wald ist Bär und Wolf, kein Wald, kein Bär, kein Wolf!“ So einfach ist das also in Rumänien und nein viele Tiere an Wölfe oder Bären verlieren sie nicht, denn in der Herde sind 4 Herdenschutzhunde. Auf meine Frage wo die wären, erwidert der Schäfer lachend: „Siehst nicht, oder? Sieht aus wie Schaf!“ Auf einen Pfiff kommen die Herdenschutzhunde zum Schäfer, während er mit Belohnungen auf die zugeht, deutet er uns weg zu bleiben. Die Hunde sind in der Tat so groß wie Schafe und genauso im Fell, als wären es Schafe. Zusätzlich sind dann noch Hütehunde im Einsatz, welche die Herde leiten, je nach Kommando der Schäfer.
Wir folgen dem Bach ins immer enger werdende Tal, das sich zu einer Klamm verengt. Bald schon bilden 2 Baumstämme und ein Handlauf aus Stahlseilen den Übergang zum jenseitigen Ufer und von da ist der Weg nur noch ein von viel tausend Schuhen blank gelaufener Felspfad. Anfangs noch breit folgt der Pfad vor der Felswand und mit jedem Meter vorwärts sinkt der Bach tiefer in den Schluchtenboden links unter uns. Bald drängen die Felsen weiter und enger an die Klamm und ein Stahlseil ist zum Festhalten im Fels verankert. Es folgen kleine Wasserkaskaden die von Berg zu Tal über den Pfad sprenkeln und den Boden unter den Füßen sehr glatt und rutschig machen. In einem deutschen Wanderführer wären wir jetzt, nach der Kategorie „Trittsicherheit erforderlich“ in die Kategorie „Klettersteig“ übergegangen, nur ein Klettersteiggeschirr trägt hier niemand der uns begegnet. Selbst vollleibige ältere Damen, werden mit gemeinschaftlicher Anstrengung, unter lautem Schreckgekreisch der Geholfenen, entlang des nur noch fußbreiten Pfades geführt.
Am Ende der Klamm weitet sich das Tal zuerst unmerklich und dichter Laubwald tritt wieder ans Wasser, ein kleiner Wasserfall, ein Café und eine Brücke und schon sind wir am unteren Ende angelangt. Insgesamt nur etwa 4 Kilometer, die allerdings zu Berg, zurück zum Auto nochmals bezwungen werden müssen.
Hier ist alles Bio! Besuch bei Bio Mosna und Willy Schuster
Wir verabschieden uns nach der Rückkehr zu den Autos von Teo und Dan und fahren in den Karpatenbogen zu Bio-Moșna in den gleichnamigen Ort, der früher Meschen hieß und von Siebenbürger Sachsen, Protestanten, die ursprünglich aus dem Luxemburger Grenzgebiet stammten und gar keine Sachsen waren bewohnt war – noch Fragen? So wird die Vielvölkerstaaterei noch etwas bunter. Willy Schuster und seine Familie, lernten wir via Facebook kennen, als uns rumänische Freunde einander vorstellten. Willy ist engagierter Verfechter kleinbäuerlicher Öko-Landwirtschaft und kaufte den Hof nach Jahren der Arbeit im Ausland, zusammen mit seiner Frau Lavina. Willy gehört zur ungarischen Minderheit ist katholisch, religiös und ist deutschlandweit bekannt geworden, als Sarah Wiener auf Einkaufstour, für ihre Restaurants durch Rumänien reiste, auf der Suche, nach noch unverpesteten Bio-Lebensmitteln. „Zufällig“ hatte sie auch ein Fernsehteam dabei, so dass es mit der kleinbäuerlichen Abgeschiedenheit bald vorbei und Willy zum Star unter den Landwirten Rumäniens avanciert war. Den Hinweis auf seine Religionszugehörigkeit erwähne ich deshalb, weil in Rumänien die Konfession und der Glaube eine durchaus bedeutsame Rolle spielt. Siebenbürgen war deutsch und von Protestanten besiedelt gleichgesetzt mit „evangelisch gleich deutsch“, “katholisch gleich ungarisch, die sich hier Szekler“ nennen. Orthodoxem Glaubens sind die eigentlichen Rumänen also „orthodox gleich rumänisch“ und die leben von den Karpatenhängen hin zur Walachei, um Bukarest, bis zum Schwarzen Meer, der Region Moldau bis kurz vor Maramures, wo wieder die katholischen Szekler leben und zu Herbert Rittlingerszeiten deutschstämmige Protestanten, deren Wehrkirchen heute zerfallen. Dazu gibt es noch einige türkischstämmige Resteinsprengel, die im Schwarzmeerbereich und bis zum Donaudelta leben.
Aus ganz Europa und mittlerweile sogar den USA, kommen Reisegruppen zu Bio Mosna, um den Biobauern und Umweltaktivisten Willy Schuster, mit seiner Familie auf dem Hof zu besuchen, die Umgebung kennenzulernen und regionaltypisch und traditionell nach Siebenbürger Rezepten, unter der malerischen Vorlaube der Scheune, köstlich zu speisen. Da wir unangemeldet kamen und Willy eine Reisegruppe von Biologen aus Sachsen (diesmal wirklich Sachsen, die aber ethnologisch auch keine Sachsen sind – aber lassen wir das) aus der Region um Chemnitz bereits auf dem Hof hatte, nachdem uns vorm Betreten seines Drei Seiten Hofes schon eine Busreisegruppe entgegenkam die gerade das Gehöft verließ. Wir konnten uns noch einer Hofbesichtigung anschließen, etwas mit Willy und Lavinia plaudern und kauften etwas von dem leckeren Schnittkäse, den „Meschener Mutschli“ aus Eigenerzeugung.
Danach fuhren wir bis vor die Transfăgărășan, einen berüchtigten und berühmten Pass, über den Karpaten Hauptkamm um dort am Fuße der hohen Berge auf einem gepflegten Camping- und Wohnmobilstellplatz zu übernachten, wir sind die ersten Gäste der Saison. Die Wirtin meint, dass die Transfăgărășan wohl noch unter Wintersperre läge und erst in einer Woche geöffnet werden würde, aber hallo, wir sind in der 2en Juniwoche.
Transfăgărășan – Lacul Bâlea anschlagen und zurück
Es zog Abends doch eisig und kalt von den Karpatenbergen herunter, nach dem Grillen gings schnell zu Bett. Am frühen Morgen fuhren wir auf der schmalen Straße, geradewegs auf das Făgărășgebirge zu und mit erreichen der waldreichen Berghänge ging es flott in Serpentinen hinauf. „Wald ist Bär“, bemerke ich, während wir etwa eine halbe Stunde Wende um Wende, Kehre um Kehre den Berg hochfahren und den tief von Eis und Frost aufgerissenen Fahrbahnbelag bestaunen, umso tiefer, je höher wir kommen.
An blanken Felswänden, liegt vom Winter abgesprengtes Gestein, bis hin zu riesigen Felsblöcken, die aber schon an die Seite geschoben wurden, die Verschiebespuren tief in den Asphalt gezeichnet. Wir hoffen, dass vielleicht doch geöffnet ist, die Strecke haben wir voll im Plan, in der Hoffnung auf spektakuläre Aussichten und dem Aufstieg zur echten Vlad Dracula Burg und nicht der Touristenburg Bran, die Besuchern dafür ausgegeben wird. Als wichtigste Passstraße zwischen Siebenbürgen und der Großen Walachei verkürzt sie die Strecke hin zu paddelbarem Wasser erheblich und schon am Fuß des jenseitigen Gebirgeshanges befindet sich der Lacul Vidraru ein Stausee des Fluss Argeș und der Fluss Dâmbovița in jene Richtung entwässert das Gebirge, zur Donau hin. Wenigstens bis zum Lacul Bâlea wollen wir kommen, oberhalb von diesem beginnt der Tunnel unter den Gipfeln hindurch.
Den Lacul Bâlea erreichen wir noch, dann ist Schluss, am Tunnel Vollsperrung. Die Polizei riegelt ab und erklärt, dass auf der Seite zur Walachei, gerade die Straße vom Winter repariert wird. Nächste Woche könnten wir nochmal kommen und dann wäre geöffnet. Nächste Woche wollen wir schon am Donaudelta sein, der Umweg um die hohen Karpaten herum wären über 500 Kilometer und das auf rumänischen Straßen, die bislang allerdings besser waren als ihr Ruf, aber dennoch nicht mit Mittel- oder Nordeuropa zu vergleichen. Mit dem Trostpreis den höchsten Punkt erreicht zu haben und Blick auf den Lacul Bâlea, gehts wieder zurück, wie wir gekommen sind, wobei die Strecke zu Tal, wieder ganz anders wirkt. Dann eben über die Burg Bran und nicht zur echten Burg von Vlad III Draculea, der Cetatea Poenari.
Nach Bukarest und weiter zum Schwarzen Meer
Die von uns nicht erwartete Unerreichbarkeit der Stauseen und Flüsse hinterm Gebirge lässt uns den Entschluss fassen nun so schnell wie möglich nach Bukarest zu fahren um mehr Zeit im Donaudelta zu gewinnen. Der Fluss „Alt“ der das Becken Siebenbürgens durchzieht ist eine betonierte Flussleiche. Nicolae Ceaușescu ein zwar nicht Bluts- aber Wesensverwandter des Pfählers Draculea, liebte als Diktator Rumäniens, Beton offensichtlich über alles.
Am Nachmittag erreichen wir Bukarest und nach der abenteuerlichsten Autofahrt meines Lebens erreichen wir das Haus unserer Freundin, Bristena, im malerischen Zentrum der Altstadt, einem Straßenzug wo „Vlad der Betonierer Ceaușescu“ den Abriss und Neuaufbau noch nicht verfügt hatte, vor seiner Hinrichtung.
București, Bukarest ist eine quirlige Stadt die nie zu schlafen scheint. Bristena die beim rumänischen Fernsehen arbeitet, erweist sich als charmante und profunde Ortskennerin. Sie führt uns zu einer historischen Karawanserei im türkischen Stil, die bis heute erhalten ist, das Restaurant Hanu‘ lui Manuc, was für ein traumhafter Ort in der lauen Sommernacht. Auf dem nach Hause Weg zu Bristena, schlendern wir über die weitläufigen Boulevards und staunen nicht schlecht, als wir eine Firma aus Halle / Saale, beim nächtlichen Hochdruckspülen der Kanalisation antreffen. Bristena hat sich in den letzten Wochen schon über die sonderbaren nächtlichen Aktivitäten gewundert, so dass wir hier sehr schnell durch Nachfrage auf deutsch für Aufklärung sorgen konnten.
Ein junger Holländer, der sich auf Fotos von Bukarest bei Nacht spezialisiert hat, tritt zu uns und wir kommen ins Gespräch, er hält Bukarest für die Stadt in Europa wo in unseren Tagen am meisten passiert in jeder Hinsicht, mehr als in sonst einer Hauptstadt, deswegen ist er hier. Es wäre alles so spannungsgeladen und chaotisch, dass man nie wisse, ob morgen die Regierung wegen Korruption gestürzt wird oder ob sonst eine Revolution ausbricht. Die ganze Stadt erlebt er als zutiefst pittoresk, malerisch und explosiv und mehrheitlich voller liebenswürdiger Menschen. „Auch wenn sie wie die Berserker Auto fahren und aus 2 Fahrspuren an Ampeln, mal schnell 6 Fahrspuren erdenken, bevor sie bei gelb losrasen, als gäbe es nichts um sie herum und schon gar kein Morgen.“ Setze ich hinzu. Zurück bei unserer Gastgeberin feiern wir in Yvonnes Geburtstag hinein und fallen schon bald danach matt ins Bett, mitten in einem verwitterten Jugendstilviertel in Bukarest.
Pontus Euxinus das Schwarze Meer
Nach dem Frühstück brechen wir zeitig auf, irgendwie schwingt die gescheiterte Transfăgărășan Passage einem düsteren Damoklesschwert gleich über uns. Das Gefühl, das ständig eine Situation gänzlich anders ist, als nach bestem Wissen und Gewissen planbar oder zu erwarten, erhebt sich zum Dogma der Reise. Die Flüsse und Seen die es zu erreichen galt – unerreichbar.
Die Donau und König Decebal im Fels und die Trajanstafel – unerreichbar. Der Weg ums Gebirge oder zurück, hieße Rumänien wieder nahezu komplett zu durchqueren und Autofahren ist hier eine Herausforderung. Verkehrszeichen gibt es zwar, aber es wird „nach Intuition“ gefahren. Fahre wie Dein Vordermann, fährt die Kolonne 80 oder 90 im Ort, fahr mit, schwimm mit, sonst überholen dich höchst abenteuerliche Sattelzüge mitten im Ort, ohne Gnade, ohne Rücksicht. Städte? Der größere Kühlergrill hat Vorrang, gut dass der Kühlergrill des Bulli größer ist als der der meisten.
Einige scheinen darauf spezialisiert, einem westeuropäischem Fahrzeug von Wert, im Verkehr einen Blechschaden zuzufügen, damit der Wagen nach dem Unfall, erst gar nicht mehr nach Deutschland zurückgebracht wird, sondern wenn möglich gleich am Ort verkauft, wo dann der Blechschaden-Verursacher gleich zur Stelle wäre. Zwei solcher Experten, hatte ich ziemlich schnell erkannt und ich habe die besseren Reflexe bewiesen.
Von Bukarest führt eine gut ausgebaute Autobahn über die Donau bei Cernavodă nach Constanța, der zu römischer Zeit Tomis genannten Stadt in der Provinz Moesia Inferior am Pontus Euxenius, dem Schwarzen Meer. Wir machen dem berühmtesten Gast der Stadt unsere Aufwartung, Publius Ovidius Naso, kurz Ovid.
Ovid, der 43 v. Chr. geboren wurde erlangte in Rom schnell den Ruhm eines Dichters, insbesondere für seine Liebesgedichte, bis er durch eine Intrige nach Tomis, zum römischen Vasallenstamm der Geten verbannt wurde, dazu ist in seiner Tristia zu lesen:
„Gerade war mir, nachdem ich meine besseren Jahre hinter mir gelassen hatte, graues Haar gewachsen und hatte sich mit altem Haar vermischt,
und nach meiner Geburt hatte zehnmal das Siegerpferd, umkränzt mit der pisäischen Olive, den Preis davongetragen, als des beleidigten Kaisers Zorn mir befahl, die links des gastlichen Meeres gelegenen Tomiten aufzusuchen.“
Vom Jahr 8, bis zu seinem Tode im Jahr 17 n.Chr. Blieb er in der Verbannung, am Ende der römischen Welt. Von 8 bis 12 verfasste er die Bände der Tristia, in der Hoffnung zurück nach Rom kehren zu dürfen. Mit den Epistulae Ex Ponto, gilt er als der Erfinder des offenen Briefes, da er in seinen Versen immer Adressaten und Namen benannte.
Ovids Umgebung am Schwarzen Meer war damals nicht – wie man es aus heutiger Sicht vielleicht vermuten würde – eine warme Urlaubslandschaft, sondern vielmehr eine unwirtliche, noch unerschlossene, beinah lebensfeindliche Gegend, eine Eiswüste, in der ein aus dem Land der Skythen einfallender Nordwind regiert, ein frostiger Wind, der jedes Leben bedroht und alles zu Eis erstarren lässt. Der sonnenverwöhnte Südeuropäer Ovid aus dem Land, wo die Zitronen blühen, wird mit einer abweisenden, und extrem lebensfeindlichen Umwelt konfrontiert. Diese Aversion, diese geistige Diskrepanz zu seiner Außenwelt, die ihn immer wieder in die Isolation und Einsamkeit zurück wirft, kann Ovid nicht ablegen. Sie bleibt ein wesentlicher Grund seiner Klage:
„Darüber hinaus ist nichts als unbewohnbare Kälte:
ach, wie nachbarlich nah ist mir das Ende der Welt!
Fern aber ist mir die Heimat und fern die geliebte Gefährtin,
fern ist, was nach diesen zwein mir jemals lieb war und hold.“
Im Jahr 17 n.Chr. verstarb Ovid im Exil in Tomis, ohne je nach Rom zurückgekehrt zu sein. Wir stehen vor dem Denkmal eines großen Dichters und Zeitbeschreibers, eines geschätzten Kollegen, dem wir unsere Aufwartung machen und Ehre erweisen.
Was suchten die Römer hier fernab der zivilisierten Welt der damaligen Zeit? Es war Gold von den Küsten des Schwarzen Meeres, es war der Fisch und der Kaviar der Störe, die im nördlich gelegenen Histria, von freien Fischern für Rom gefangen und verarbeitet wurden. Die Städte am Schwarzen Meer, wurden bereits von den Griechen zuvor kolonisiert und von den Römern als siegreiche Nachfolger übernommen. Die Argonauten, der Geograph Strabon und viele mehr, zeichneten für uns die Karten und das Bild, der damaligen Welt bis zurück zum Beginn der Metallzeit.
Für jeden kulturhistorisch und geschichtlich Interessierten, ist es erhebend zu fühlen, dass selbst in den entlegensten Regionen, Menschheitsgeschichte geschrieben wurde und noch immer wird. In einem hat Ovid bis heute Recht, der Wind über das Schwarze Meer, weht kühler als vom Mittelmeer, auch im Juni direkt an der Küste, leicht frostig frisch. Aus Asien, vom Elbrus im Kaukasus und den Gebirgen rings um das östliche Schwarze Meer, sind es nur etwa 1000 Kilometer ohne jedwedes Hindernis, welche die Kälte bei östlichen Winden binnen 2-3 Tagen vor die Küste von Konstanza trägt.
Auf ins Donaudelta
über 2880 Kilometer vom Schwarzwald bis zum Schwarzen Meer strömt die Donau, um sich als zweitlängster Strom Europas, nach der Wolga, im ebenfalls zweitgrößtem Mündungsdelta Europas ins Schwarze Meer zu ergießen. Jedes Jahr schiebt die Donau dabei das Delta um 80 Meter weiter ins Meer hinaus. Das Donaudelta teilen sich heute 2 Länder, die Ukraine im Norden und Rumänien im Süden, was den größeren Teil des Deltas vereinnahmt.
Bis heute lebt im Donaudelta ein Vielvölker-Gemisch, von russischen Altgläubigen, die hier Lipowaner genannt werden, Ukrainern, Türken und Rumänen und selbst einige versprengte deutschstämmige soll es noch geben. Von Konstanza aus folgen wir der Küste, vorbei an Mamaia bis zur griechischen Ruinenstadt Cetatea Histria, einem Fischereihafen und prachtvoller Stadt, südlich des Donaudeltas, der bis in römische Zeit dem Fang von Stören und der Kaviargewinnung diente, der von hier mit Amphoren verschifft wurde. Durch Verlandung wurde die Stadt zum Ende, ohne jede kriegerische Einwirkung aufgegeben.
Weiter geht es durch einen klar türkisch geprägten Ort, Babadag und weiter nach Tulcea, der Hauptstadt des Deltas. Von Tulcea fahren wir bis zum Ort Murghiol, wo wir bei einem von einer freundlichen Familie eingerichteten Campingplatz Quartier beziehen, Camping Pescarul Dan, bedeutet nichts anders als Camping beim Fischer Dan. Des Fischers Frau, Irina ist Ukrainerin, Dan Rumäne und beide haben eine kluge Tochter, die das Gymnasium in Tulcea besucht.
Neben der immer weniger auskömmlichen Fischerei im Delta, durch Überfischung, kam die Familie vor einigen Jahren auf die Idee, der immer zunehmenderen Flotte von Wohnmobilen und Motorradreisenden, einen behaglichen Platz, in einem Teil ihres Nutzgartens zu schaffen und so stehen wir mit einem betagten Pärchen Holländern, zwei Österreichern und einem Slowaken einvernehmlich auf dem gepflegten Rasen. Irina versorgt uns mit Eiern der eigenen Hühner und kocht auch regionaltypische Fischgerichte in traditioneller Weise lecker gebraten, mit Polenta und Kartoffeln, sowie frischem Salat aus dem eigenen Garten. Wer ins Donaudelta will, muss zudem vorher noch ein Ticket, ein Permit für das Biosphärenreservat lösen, das ebenfalls am Campingplatz zu bekommen ist. Mit den Einnahmen, wird die Reservataufsicht, die Ranger finanziert, die peinlich genau auf die Einhaltung der Fangquoten achten und den Schutz der Flora und Fauna, sowohl über als auch unter Wasser.
Wir beschließen einige Tage zu bleiben. Da die Distanzen teils gewaltig sind, wie zum Beispiel von Tulcea nach Sulina, über den kerzengeraden Mündungskanal, den Sulina Arm, voller schneller Wassertaxen, Personenschiffen und einem Tragflächenboot russischer Bauart vom Typ „Raketa“, sind es 70 Kilometer Luftlinie. Für Kanuten ist der Sulinaarm nicht zu empfehlen, weil man permanent mit überkommender Welle eingedeckt wird. Murghiol liegt am südlichen Sankt Georgs Arm der Donau. Vom Einstieg am Fischerei- und Tourismushafen Murghiol nach Mila 23 sind es paddelbare 23 Kilometer Luftlinie einfach, vorausgesetzt, man findet den Weg durch das Wirrwarr der Verbindungsgewässer und Stichkanäle und den teils großen und flachen Seen. Wir beschließen, mit Dan, am nächsten Tag, eine individuelle Reviererkundung zu machen und buchen ihn mit seinem Boot, das um die 7 Meter lang ist und zum Fischen in jederlei Hinsicht genutzt wird, für Fische und Touristen.
Die nächsten Tage, werden wir dann unsere Revierkenntnis im Kanu anwenden, immerhin schleppen wir ja unseren altbewährten Brooks 16 seit über 2500 Kilometern mit uns auf dem Bullidach herum. Wir fahren über Crisan nach Mila 23 und lassen uns auch noch die nähere Umgebung erklären und erkunden, damit wir uns mit dem Kanu selber zurechtfinden. Die Vielzahl an Schnellbooten ist ernüchternd. Mit teils abartiger Geschwindigkeit, voll besetzt mit Touristen, jagen die Bootsführer die zwischen 7 und 9 Meter langen Schnellboote für bis zu 12 Personen durch selbst die engsten Fließe zwischen den Seen. An manchen Stellen passen keine 2 Boote nebeneinander vorbei, ohne sich unter die Äste der Weiden oder ins Schilf zu pressen – egal, Vollgas zählt. Die Boote der kommerziellen „Touristenguides“, sind mit teils bis zu 2x 300 PS Aussenbordmotoren bewaffnet und die werden voll ausgefahren. Wenn also Fische die Überfischung überleben, werden sie vielleicht gleich danach durch die Propeller gecuttert, wenn die Boote mit 70 – 80 km/h über das Wasser rasen. Wie gut, dass wir Dan als Guide für unsere Einweisungsfahrt dabei haben. Wir wären vom rücksichtsvollen Verhalten in Nationalparks Mitteleuropas ausgegangen und hätten mit einem Kanu, ohne die Einweisungsfahrt im Delta vermutlich keine halbe Stunde überlebt.
Die Delta-Pelikane erhalten die leicht rosa Gefiederfärbung durch den zusätzlichen Verzehr von Kleingarnelen, deren im Krustenpanzer gebundenes Chitin, das neben Cellulose häufigste Polysacharin, also ein verhornter Vielfachzucker, enthalten ist. Wer schon mal Scampis gegessen hat erinnert sich an die Rotfärbung der Schalen beim Garen, da die Pelikane die Garnelen nicht garen und zudem gleich mit der Schale naschen, färbt der Chitinfarbstoff mit der Zeit deren Gefieder rosa. Schon auf dem ersten See, führt uns Dan zu einer Gruppe fischender Pelikane. Kormorane und eine Taucherart die ich nicht kenne, fischen in der Nähe. Sobald die anderen Vögel die Fische zusammengetrieben haben fliegen die Pelikane an, als größte und schwerste Vögel die Chefs im Ring und räumen mit ihrem Schnabelkescher die Beute ab, unter dem lautstarken Protest der anderen fischjagenden Vogelarten. Neben den Rosa und Krauskopf Pelikanen sowie Seeadlern, sehen wir an den Fließgewässern zwischen den Deltaseen Seidenreiher, Zwergreiher, Silberreiher, Zwergdommeln, Rohrdommeln, Nachtreiher, Kormorane und Löffler. Insgesamt sind über 5200 Arten an Flora und Fauna bislang im Donaudelta nachgewiesen worden, bis hin zur Sandboa, der einzigen Riesenschlangenart Europas, die aber zu den kleinsten Vertretern der Boa Familie gehören und nur maximal 1,4 Meter erreichen.
In Crisan und Mila 23 versuchen wir etwas über das Projekt „Rowmania“ zur Förderung eines nachhaltigen Deltatourismus von Ivan Patzaichin, dem erfolgreichsten Olympiasieger und Weltmeister Rumäniens zu erfahren, angeblich könne man hier Kanus mieten. Im C1 und C2 gewann er zwischen 1968 und 1984 4 mal Gold und drei Silbermedaillen bei olympischen Spielen. Ivan hat eine Hybridform eines Bootes entworfen, die er „Canotca“ nennt. Von der Form ähneln die traditionellen Delta Kanus der Lipowaner den Kanus Nordamerikas, nur sind die Deltaboote in Plankenbauweise erbaut. Mit dem Canotca, legt Patzaichin die Idee, des modernen Holzbootbaus wie bei Leistenkanus neu interpretiert auf. Aus heimischen Hölzern, Kunstharz und Glasmatten entstehen so in Tulcea, regionaltypische Kanus für einen umweltfreundlicheren Tourismus als mit den lauten, spritfressenden Speedbooten.
Leider haben wir kein Glück, und auch unsere telefonischen Versuche der Kontaktaufnahme führen zu nichts. Die Leute die ans Telefon gehen, können kein Englisch und wir kein Rumänisch schade, aber die Website sieht zumindest gut aus und ist zweisprachig, da ist noch Luft nach oben. Auf dem Rückweg mit Dan, schaut er noch bei einigen seiner Netze vorbei, die jedoch allesamt leer sind, kein Fangerfolg. Der Abend klingt aus bei Irinas Fischgerichten mit Polenta, einer erstaunlich kräftigen Art Maisbrei und zur Verdauung einen Hausgebrannten.
Wir bleiben noch einige Tage und genießen unsere Kanuexkursionen im Delta mit dem nun gewonnen Wissen um die Kanäle und die vernetzten Seen. Dabei stoßen wir immer wieder auf unglaublich viele Vögel und kommen vor lauter Begeisterung und Fotografieren oftmals nur sehr langsam voran.
Moladauklöster, Goldene Bistritz und Herbert Rittlinger
Das sommerliche Treiben, die Behäbigkeit eines mächtigen Stroms, der Donau, die sich kurz vor ihrer Vereinigung mit dem Meer nochmal zu erholen scheint und sich vom mitgebrachten Ballast in Form von Sedimenten läutert, steckt an, wir sind im leichten Flow des Donaudeltas angekommen und dennoch drückt unser Zeitplan.
Einem Fluss wollen wir die Aufwartung machen, auch wenn dieser sein Gesicht sehr geändert hat, die Goldene Bisteritz. Von Tulcea fahren wir zur Fähre nach Galați und überqueren die Donau. Dort folgen wir dem Sereth, der schon von Herbert Rittlinger 1932 zu seinem Buch „Faltboot stößt vor“, befahren wurde, um von der Goldenen Bisteritz zur Donau zu gelangen, von wo er zum Euphrat weiterreiste. Der Sereth, rumänisch Siret, ist ein rotbrauner Flachlandfluss, der sich breiig und behäbig in Richtung Donau wälzt. Oftmals in Beton gezwängt und viel Plastikmüll mit sich führend. Frei Fließend den Müll weg-spülend und wieder Beton und aufgestaut, so zieht sich der Sereth bis kurz vor Bacău, wo von links die Bistrița / Bistritz einmündet.
Durch die Stadt fahren wir nach Piatra Neamț, das bis 1918 Kreuzburg an der Bistritz hieß und zur KuK Monarchie gehörte, bevor das Königreich Rumänien ausgerufen wurde. Am Ufer finden wir von Rittlingers Reisebeschreibung absolut nichts vor, der Fluss wurde hier aufgestaut, wir staunen immer wieder über die Betonsucht der rumänischen Ingeneure, scheinbar waren die in Deutschland zum Studium. Bis Marceni zieht sich das Ganze hin.
Der Rumänien-Campingplatzführer ist zum in die Tonne treten, bislang ist kaum einer, der beschriebenen Campingplätze existent oder bereits geschlossen, so auch jetzt wieder, direkt vor einer gewaltigen Staumauer, die die Bistrița zu einem riesigen Stausee aufstaut. Scheinbar findet kein Tourismus statt und murrend fahren wir weiter, die Straße zur Staumauer hoch und die Betonoberfläche lässt uns feststellen, dass wir bitte schnell darüber gefahren sein wollen. Am Parkplatz des Motel Cristina ziehen wir unter und werden neben einem weiteren Bulli aus Holland hier die Nacht verbringen. Rumänien zieht sich und besonders hier im Gebiet zu Moldawien, die Straßen werden zusehends schlechter.
Armes Land und großartige Natur. Ein Schild weist auf Bären hin, ja stimmt, wir sind im Wald. Die DN 15 gekennzeichnete Straße wird stetig maroder, aber noch trägt die Decke. Bei Poiana Teiului, entdecken wir eine extrem malerisch gelegene Holzkirche im Stil der hier allgegenwärtigen Moldauklöster. Wäre ich Abt, hier würde ich auch eine Kirche hin bauen. Eine fast an die Schweiz erinnernde Silhouette, sanfte Anstiege, der türkis farbige See der aufgestauten Bistritz und während wir so sinnieren, fahren wir schon die schmale Schotterstraße hoch, um die Kirche von nahem zu bestaunen. Es wird noch gebaut und der Prior, Viorel Poiana kommt zum Tor, begrüßt uns freundlich.
Auf unsere mit etwas scheu vorgetragene Frage, ob wir mit der Drohne einige Fotos machen dürfen, erwidert er freudig und in englisch sein Einverständnis und erklärt, dass er schon selbst darüber nachdachte sich eine zu holen. Viorel ist der Prior einer von ihm gegründeten Einsiedelei, wo er als frommer Mann, in Askese und weitestgehend von der Welt zurückgezogen leben, meditieren und predigten wird. Den Wirtschaftshof erledigen 2 Nonnen. Er führt uns nach den Aufnahmen durch das Gelände, da wir versprachen, er könne die Aufnahmen gleich nach der Landung bekommen, wenn wir die auf seinen Computer, falls vorhanden ziehen können. Das Kleine Kloster ist vollkommen autark. Strom kommt von Solarpanels und an seiner kleinen bescheidenen Einsiedlerhütte, darf Frau nicht mit hinein, aber der Mann, Einsiedler leben in Keuschheit.
Bescheiden und mit einfachsten Mitteln lebt der Prior und dennoch nichts Wesentliches muss er entbehren. Der Ofen ist zugleich Herd, Bücher, elektrisches Licht aus Solaranlage und eine Toilette mit kleinem Bad. Zum Dank für die Bilder und Videosequenzen seiner Kirche, überreicht er uns noch ein Flasche, selbst erzeugten Messweins und schreibt uns noch die Namen einiger der prachtvollsten Moldauklöster auf, denen wir auf unserer Weiterfahrt in die Berge und in Richtung Jacobeny bis nach Vatra Dornei unsere Aufwartung machen. Abends in Vatra Dornei, es ist in der Höhenlage deutlich kühler als im Delta oder gar am Sereth. Es ist frisch und wir holen leichte Jacken raus, während wir auf der Terrasse des Restaurant Maestro sitzen.
Einst ein mondäner Ort der Sommerfrische und laut Rittlingers Schilderung, der letzte Ort an dem man deutsch sprach an der Bistritz. Lange her. Heute versteht uns hier keiner und mit englisch wird es auch eng. Wir suchen einen Stellplatz für die Nacht, denn der gepriesene Campingplatz für die Nacht, ist zwar existent, aber keiner ist da und niemand geht ans Telefon. Also fahren wir etwas raus zu „Wald ist Bär“ und vor dem Kloster Mănăstirea Sfântul Pantelimon, stehen wir bei Mestecanis mitten im Wald ohne Bär und unbehelligt, gute Nacht.
Am nächsten Morgen fahren wir nochmal nach Vatra Dornei, Vorräte auffüllen, bevor wir uns an die Befahrung der hier früher Goldnen Bistritz genannten Flusspassage machen. Der Einkauf wird lustig und radebrechend. Am Piața Agroalimentară, dem Bauernmarkt in Vatra Dornei befinden sich ausschließlich rumänisch sprechende Bauern der Region. In einem Milch und Käseladen, deuten wir auf verschiedene Käsesorten und sagen nur „Mäh?“ oder „Muh?“, nachdem die Verkäuferin kein Wort verstand und wir sie auch nicht. Wir kaufen also ein Pfund „Muh“ und eine Kugel von etwa 1 ½ Kilo „Mähschemuh“, scheinbar ein gemischter Käse aus Schaf- und Kuhmilch, die Verkäuferin und wir lachen herzlich und suchen die passenden Scheine heraus, nachdem sie uns die Zahl aufgeschrieben hat. Mit den Händen wild gestikulierend kauften wir noch alte Tomatensorten, die wir als „Ochsenherzen“ übersetzen konnten, Smartphone und Translator sei dank, dann bei alten Bäuerinnen noch diverse Samen, darunter Mangold für den Anbau zuhause, da uns das Klima ähnlich wie bei uns scheint.
Mit dem Einkauf gehts an die Goldene Bistritz an einen kleinen Rastunterstand und wir frühstücken erst mal, bevor wir nach Jacobeny weiterfahren, von wo aus Herbert Rittlinger seine Faltbootfahrt am Pfingstsonntag 1932 begann. Der Baustil ist eindeutig deutsch. Krüppelwalmdächer auf alten Bauernhäusern, die genauso in Bayern stehen könnten und eine langsam zerfallende protestantische Kirche zeugen von den ehemaligen Bewohnern. Im Ort finden wir mit Hilfe von zwei jungen Passanten, Georgiana und Nicușor, die wir ansprachen und die englisch können, einen alten Mann, der neben der aufgelassenen Kirche wohnt und der sich noch lebhaft an seine Kindheit erinnert und die Fahrt Rittlingers von der Brücke aus in weit ausladenden Gesten mit Paddelbewegungen schildert. Wir machen uns fertig zum lospaddeln und setzen bald darauf selber ein. Das Klapprad haben wir weiter unten versteckt, hinter der von Rittlinger geschilderten Dragul Mulului, der Teufelsmühle. Die Goldene Bistritz erscheint mit einem modernen armerlite Brooks 16 Canoe im Prospector Zuschnitt, nicht besonders herausfordernd, was sich aber nach Regen sicher schnell ändern kann, denn ein Bergkessel legt sich in Hufeisenform um den Oberlauf und viele Seitentäler münden ins Haupttal.
Wir machen gute Fahrt, auf historischem Gewässer, auch wenn die Goldene Bistritz viel von der Ursprünglichkeit weiter zu Tal eingebüßt hat, durch den Stausee und weitere Flussbaumaßnahmen in der kommunistischen Zeit. Die Wälder wirken lichter als auf Rittlingers Fotos, denn die österreichische Holzindustrie und andere europäische Raubbauholz-Verarbeiter, haben sich als Großaufkäufer von Urwaldflächen und Abholzer der letzten rumänischen Urwälder aufgeschwungen, dabei ist es egal, ob in Nationalparks oder sonstigen geschützten Bereichen der Kahlschlag vorangetrieben wird. Rumänien ist arm aber reich an Bodenschätzen, bestechlichen Beamten und jahrhundertealten Wäldern, Gold und Schiefergas. Das gibt immer mehr Rumänen das Gefühl nur eine Kolonie Europas zu sein, während korrupte Politiker und skrupellose Konzerne die letzten Ressourcen des Landes unter der Hand verkaufen. Als wir nachdenklich noch die Teufelsmühle glücklich passierten und auch den ein oder anderen in Rittlingers Buch beschriebenen Ort identifizieren können, landen wir an. Mit dem Radl fährt einer zum Auto holen, der andere wacht mit Ghismo am Boot.
Nach dem Aufladen, wollen wir noch in die Maramures, doch mehr und mehr beschleicht uns mit jedem Kilometer weiter, tiefe Melancholie, ob des jetzt erlebens der Reise.
Die hier in vielen Dörfern, offen sichtbar zu Tage tretende Armut, der unendlich scheinende Müll aus Plastikflaschen an den Ufersäumen. Manchmal scheint uns, als würde unterhalb der Dörfer am Fluss im Winter eine wilde Deponie angelegt, im Vertrauen, dass das Frühjahrshochwasser, den ganzen Müll mitnimmt und gnadenlos über das Land verteilt. Für die gut 80 Kilometer nach Vișeu de Sus brauchen wir über 8 Stunden, die Passstraße wird in einer Baustelle über 63 Kilometer von Strabag Romania erneuert. Der anfallende Bauschutt wird einfach über die Leitplanken ins Tal gekippt, das Teil eines Nationalparks ist. Die Straße mit Ampelregelung oft nur einspurig, links aus dem Fenster auf den Fahrbahnrand zu Tal blickend, erkennt man tiefe Auswaschungen und Erosionsschäden. Wir haben genug und beschließen noch einmal zu übernachten und über Baja Mare und Satu Mare Rumänien zu verlassen, die vielen vielen Eindrücke sind reif erstmal verdaut zu werden.
Am nächsten Tag ziehen wir in einem Ritt durch Ungarn nach Österreich und beschließen am Hallstätter See in Etappe zu gehen, erstmal wieder an mitteleuropäische Gegebenheiten aklimatisieren. Wir reden wenig, wir sind beide übervoll mit Erlebnissen, vielleicht war es diesmal eine Region zu viel?
Die Nachlässigkeit und Geringschätzung der Einwohner, dieses an Naturräumen so herrliche Land so zu vermüllen erschließt sich uns nicht. Liegt es an der Armut,liegt es an Phlegmatismus? Wir finden keine Antwort. Die Rumänen die wir persönlich kennen sind durch die Bank herzliche, ordentliche und tüchtige Leute, liegt es daran, dass die, die heute in armseligen Verhältnissen entlang der Goldenen Bistritz leben dort auch nicht hineingeboren wurden und mit dem Wegzug der Rumäniendeutschen, dort nicht verwurzelt sind? Wir haben viele Fragen und keine Antworten aber eine tiefe Agonie, die uns drängt, nun das Land zu verlassen und das erlebte zu verdauen, kein weiterer Input, was ein Novum für uns ist und wir fühlen mit den Elegien des Ovidus, so haben wir ihn doch verstehen gelernt und schließen unsere Briefe vom Schwarzen Meer – Epistulae ex Ponto.