Projekt Beschreibung
Die Waldnaab
Teufels-Butterfass, Gletschermühle und Tischstein sind nur einige der markanten Stellen an der malerischen Waldnaab, die von eifersüchtigen Trollen bewacht werden, um dieses Schatzkästlein bloß mit niemandem zu teilen. Detlef Stöcker ist in die märchenhafte Kulisse eingetaucht.
Das Objekt der Begierde gehört zum Stromsystem der Donau und mündet nach etwas mehr als 80 Kilometern Flusslänge in die Naab, um sich mit dieser nahe Regensburg in die Donau zu ergießen und dem Schwarzen Meer entgegenzuströmen. Die Waldnaab entspringt auf 816 Metern Höhe über NN an der deutsch tschechischen Grenze im Oberpfälzer Wald, nahe des 901 Meter hohen Entenbühl und dessen kleinerem Nachbarberg, dem 853 Meter hohen Naabberg im Landkreis Tirschenreuth in der Nähe von Silberhütte. Aus der Quellfassung heraus sprudelt das Waldnaab-Wasser nur wenige Meter auf deutschem Boden und fließt danach als Lesní Nába etwa einen Kilometer durch Tschechien, um sich schließlich nach Nordwesten zu schlängeln und bei Bärnau wieder Deutschland zu erreichen. Je nach Wasserstand kann es passieren, dass die Waldnaab mal in Deutschland und mal in Tschechien entspringt – ein völkerverbindendes Flüsschen, so scheint es.
Pegelstand passt, auf geht’s!
Das ganze Frühjahr habe ich gehofft, das Waldnaabtal in frischem Grün und mit ausreichend Wasser zu erleben. Als dann ausgiebige Regenfälle und Gewitter während der Vortage den Pegel Johannistal anschwellen lassen und dieser die gemäß der Selbstbeschränkung zur Befahrung erforderlichen 90 cm aufweist, gibt
es für mich kein Halten mehr. Normalerweise halte ich mich von »Wildbächen« oder dem, was der normale Mensch dafür hält, fern, aber die Waldnaab lockt mich
schon seit Jahrzehnten, und nie hat es geklappt. Jetzt also soll es soweit sein. Leider hat keiner meiner Paddelfreunde Zeit, so dass ich mich für den leichten 15er Armerlite Brooks entscheide, da das Armerlite durchaus eine etwas härtere Gangart verträgt ohne gleich zu zerspanen. Mit Gewichtsverlust durch Abrieb ist zu rechnen, warnten mich jene, die schon vorher dort fuhren. Insbesondere beim »Teufels-Butterfass« sollen Kratzer unvermeidlich sein. Nun, ich werde es herausfinden, denke ich, während der geringe Verkehr auf der A93 gutes Vorankommen für die etwas mehr als hundert Kilometer ermöglicht.
Einstieg unterhalb Burg Falkenberg
Am Ausstieg beim Pegel in WindischEschenbach verstecke ich meinen Rucksack mit Trockenklamotten, um in den erwarteten Portagen nicht zuviel umtragen zu müssen. Danach fahre ich nach Falkenberg und begutachte die Einstiegsstelle unterhalb der gleichnamigen Burg. Da ich eine starke Abneigung gegen im Ort gelegene Einstiege habe, fahre ich etwas westwärts und folge dem Hammermühlweg zu einem Parkplatz. Dort steige ich in die Waldnaab ein – den Weg zurück will ich wandern, umvon hier das Auto nachzuholen. Der Wanderweg führt über etwa zwölf Kilometer zum Auto zurück, ohne dass ich dabei allzu viele Straßen passieren muss. In weiten Mäandern windet sich die Waldnaab unentschlossen durch eine Wiesenlandschaft, bis sie schließlich im entscheidenden Schwung nach links in ihr enges Waldtal abbiegt. Vorbei am »Sauerbrunnen«, erreiche ich bald den »Wassermann«, und bald darauf zwingt mir das »Teufels-Butterfass« eine heftige Portage auf. Gut, dass ich alles Überflüssige im Auto und Rucksack gelassen habe. Nachdem der Canadier auf den Fels abgestellt ist, trage ich zuerst den Bootswagen und das Kleingerödel zum nächsten Einstiegspunkt. Danach folgt der Brooks. Dabei fällt mir Bill Mason ein, der in seinem Film »Waterwalker« sinngemäß sagte: »Wer dir erzählt, umtragen wäre ein Spaß, muss verrückt sein, aber der Weg zurück zwischen den einzelnen Packs ist das, was lohnt.« Es ist schwierig, das Kanu umzusetzen, aber schließlich ist es geschafft, und bald darauf erfreue ich mich wieder am spritzigen Paddeln durch die malerische Waldschlucht. Über mir donnert es. Ein Gewitter zieht auf, das sich über dem Nadel- und Laubdach unbemerkt an mich herangeschlichen hat.
Auf flotten Stromschnellen
An einer Blockhütte mit weitläufigem Biergarten lege ich kurz an, umetwas zu trinken. Als ich wieder aufbrechen will, ist der Donner verhallt, der Himmel diesig, zuweilen sonnig, und manchmal fallen einige Tropfen. Ein richtiges Aprilwetter. Auf flottem Stromzug paddle ich weiter zu Tal. Der markante Tischstein am rechten Ufer wirkt wie von Künstlerhand als Skulptur aufgestellt. Schnell ist der Canadier umtreidelt, und weiter geht es. Bald darauf folgt eine weitere Verblockung, und ein zerbrechlich wirkender Holzsteg führt über einen großen Fels in Flussmitte zum jenseitigen Ufer, wo in der Felswand ein weiteres Geländer erkennbar ist – vielleicht eine Treppe, die ins mir Unbekannte führt.
Ich paddle weiter und stehe unvermittelt vor einem scheinbar endlosen Blockmeer. Zum Glück gibt es seit der Blockhütte uferparallel einen Forstweg, so dass ich den Bootswagen aufklappen und »umwagerln« kann. Von Anglern getretene Spuren führen immer wieder ans Wasser, wo ich gut nachsehen kann, ob es wieder frei fließendes Wasser gibt.
Abenteuerspielplatz Natur
Biberspuren überall! Mal sind es »verglitschte« Ein- und Ausstiegsstellen von »Meister Bockert«, mal angespitzte Stümpfe junger Birken, oder manchmal sogar gefällte Bäume großen Kalibers. Das frische Maiengrün ist das Leuchtkräftigste und Überwältigende an diesem Paddeltag, das diffuse, gleißende Licht trägt das Seine dazu bei. Ich paddle, treibe, stelle mich in Kehrwasser nach den spritzigen Schwellpassagen und lausche der Natur, hinein in den Wald und auf das Wasser. Es ist schwierig, Fotos zu machen, das dichte Laubdach und das nicht immer ausreichende Licht zwingt zu langen Verschlusszeiten. Das Zeitgefühl ist mir vollends abhanden gekommen. Ich »schlendere tanzend« mit dem Boot von Ufer zu Ufer und drehe spielerisch einige übermütige Pirouetten, während ich mich des guten Gefühls am Paddel und dem Erlebten erfreue. Kleinere Blockstellen folgen einander, die meisten sind mit etwas Aufmerksamkeit ohne Bootskontakt am Fels fahrbar. Der Brooks 15 ist hierfür wie gemacht und dreht willig in jede Richtung, in die ich ihn dirigiere. Hier lockt eine Stelle zum Ausstieg, dort eine zum Anlegen und zum über die Felsen springen und hüpfen. Einen prächtigen Abenteuerspielplatz hat Mutter Natur hier geschaffen, und immer langsamer komme ich zu Tal, will den immer kürzer werdenden Weg vollends auskosten. Am kurvenäußeren Ufer ist der Fluss in Stein gefasst, ein Indiz für frühere Flößertätigkeit.
Zurück in die Zivilisation
Das Geräusch fahrender Autos und Lastwagen dringt zunehmend an mein Ohr, und bald erkenne ich den Verursacher: Die Autobahn 93 Hof –Regensburg zieht hoch über mir entlang und überspannt das idyllische Johannistal. Nach der Unterquerung wird es kaum mehr richtig ruhig, die Nähe menschlichen Wirkens kündigt sich zunehmend an. Noch einige Schwallstrecken mit teils erfreulich spritzigen Abschnitten, und bald darauf tritt der Wald zurück. Erst am rechten Ufer, wo eine Wiese bis zum Weiler Johannistal das Ufer säumt, dann zu beiden Seiten. Noch einmal tritt der Wald an den Fluss, und von rechts mündet die Fichtelnaab ein. Noch einmal unterquere ich die lärmende Autobahn und gleich darauf eine Bahntrasse. Vereinzelt liegen immer wieder Felsbrocken verstreut im Fluss, aber weit auseinander – kein Vergleich zu den höheren Flussabschnitten. Aller guten Dinge sind an der Waldnaab scheinbar zwei, so dass ich nun
noch einmal die Eisenbahnlinie unterquere, nachdem kurz zuvor ein Fußgänger-Gittersteg zu unterqueren war. Anschließend folgt eine Hochspannungsleitung,
und schon hat mich die Zivilisation wieder. So jäh mich die Autobahn aus meinem Märchental riss, tauchen nun ein Gewerbegebiet und eine weitere Brücke auf
und entzaubert das Flusswandermärchen endgültig, während hoch am rechten Ufer ein rumpelnder Güterzug mich mit Lärm überschüttet. Gleich darauf folgt am rechten Ufer eine marode Gewerbefläche und links vorm Wehr der Pegel Windisch-Eschenbach – ich bin am Ziel.
Schnell ist der Canadier sicher mit einem Schloss und ich im Wanderornat auf demWeg zum Auto. Dunkle Wolken mahnen zur Eile, und nach scheinbar endlosen 15 Minuten erreiche ich Johannistal und bald darauf erleichterten schützenden Wald. Ich beschließe, imWiederholungsfall nur noch bis Johannistal zu paddeln und den letzten Teil wegzulassen. Ich folge in flottem Wanderschritt meinem Märchenfluss zu Berg, was mir noch viele schöne Ausblicke und Panoramen beschert, bis ich zweieinhalb Stunden später den Armerlite-Canadier wieder auf mein Autodach packe, um die Heimreise anzutreten.
Detlef Stöcker